Erfahrungsbericht von Alice

Stillen mit Lippenspalte

 

Angelina war ein absolutes Wunschkind. Wir waren sehr glücklich über meine Schwangerschaft.

In der 21. SSW tat die Frauenärztin sehr geheimnisvoll, druckte Bilder aus, heftete sie in das Vorsorgeheft und sagte freudestrahlend: „Sie dürfen jetzt noch zu einem besonderen Ultraschall!“. Mein Mann und ich hatten ein komisches Gefühl und fragten nach dem Grund, doch sie schob uns nur mit den Worten „Ihr Kind hat eine offene Nase…“ aus dem Untersuchungszimmer.

Wir waren geschockt und Zuhause weinte ich und rief dann meine Tante (eine Krankenschwester) an und fragte sie, was das nun bedeuten soll. Sie sagte mir, dass die Ärztin wohl eine Lippen-Kiefer-Gaumenspalte damit meinen würde.

Ich wusste, was das hieß. Ich war mit einem Mädchen in der Stufe, die eine LKG-Spalte hatte. Und sie war wirklich nicht schön!

Ich war verzweifelt. Mein Mann setzte sich sofort an den Computer und recherchierte im Internet. Nach einiger Zeit rief er mich und zeigte mir Bilder von Kindern, die in der Berliner Charité operiert worden waren – und man sah, bis auf kleine Narben, gar nichts! Das machte mir wieder Hoffnung.

Ich telefonierte dann bereits am nächsten Tag mit der Gründerin der Selbsthilfegruppe in Berlin. Sie erzählte mir ihre Geschichte und gab mir sogleich die Telefonnummer von einer Ärztin aus der Charité.

2 Tage später hatte ich ein sehr nettes und ausführliches Telefongespräch mit ihr. Sie erklärte mir alles genau und wir vereinbarten einen Termin. Dort sahen wir Fotos, erfuhren alles über die Operationsmethoden usw. Nun war ich sicher, dass alles gut werden würde.

Bei der Ultraschalluntersuchung bestätigte die Ärztin die Lippenspalte. Ob auch eine Kiefer- und Gaumenspalte vorlag, konnte sie nicht mit Bestimmtheit sagen.

Da ja die Wahrscheinlichkeit für eine komplette Spalte höher ist, gingen wir erstmal vom „schlimmsten Fall“ aus und bereiteten uns darauf vor.

Frau Dr. Lauster bestärkte mich darin, dass ich nach der Geburt auf jeden Fall versuchen sollte zu stillen, da es so wichtig wäre für den Muskulaturaufbau nach der OP.

Ich hatte mich vorher noch nie mit dem Thema Stillen auseinandergesetzt, ich selber war als Flaschenkind aufgezogen worden und wusste auch sehr wenig über die Vorzüge des Stillens.

Nun fing ich an, mich mit dem Thema auseinanderzusetzen und traf eine Hebamme, die eine Fortbildung für die Ernährung von LKG-Spalten Kindern hatte.

Sie brachte mir den Habermannsauger mit und meinte, es wäre sehr schwierig zu stillen. Na toll!

Doch dann gab mir Frau Dr. Lauster die Telefonnummer einer anderen Mutter, die es geschafft hatte, ihr Kind mit LKG-Spalte zu stillen. Dieses Telefongespräch machte mir Mut und ich war überzeugt, dass ich es auch schaffen würde.

Ich traf mich mit einer anderen Hebamme. Sie war sehr nett und einfühlsam, sie brachte mir das Brusternährungsset mit und erzählte mir vom Fingerfeeding und lieh mir ein sehr gutes Buch.

Das nächste Problem, dass uns erwartete war die Wahl des Krankenhauses. Ich dachte auch über ein Geburtshaus nach, doch das nächste lag 40 Autominuten entfernt und Angelina war mein erstes Kind – kurz: ich hatte viel zu viel Angst.

Wir lebten damals in der Nähe von Stuttgart und es war schwierig ein Krankenhaus mit eingebundener Kinderklinik zu finden. Und wenn ich den Ärzten erklärte, dass mein Kind mit LKG-Spalte geboren werden wird, gerieten die meisten in Panik und sagten, dass das Baby dann sofort in die Kinderklinik verlegt werden würde und eine Magensonde bekäme.

Das war ja genau das, was ich nicht wollte.

Schließlich fanden wir dann ein kleines Krankenhaus auf dem Land mit integrierter Kinderklinik. Wir sprachen mit dem Chefarzt und er sicherte uns zu, dass wir zuerst selbst versuchen dürften, unsere Tochter zu stillen und erst wenn es gar nicht funktionieren sollte, würden sie eine Magensonde legen. Das war ja schon mal was.

 

Meine Tochter wurde Anfang September geboren und wir weinten vor Freude, denn sie hatte nur eine Lippenspalte. Sie war wunderschön. Kurz nach der Geburt half mir die Hebamme beim Anlegen. Es funktionierte fast sofort!

4 Stunden nach der Geburt gingen wir mit ihr nach Hause. Es war eine Übungssache, bzw. eine Sache des Anlegens. Ich konnte sie nicht im Arm in der Wiegeposition halten und so stillen, dass klappte leider nicht.

Wir hatten ein Stillkissen und in der Rückenhaltung, d. h. den Kopf an meiner Brust und ihre Beine neben meinem Körper liegend, klappte es super. Wir brauchten am Anfang immer einige Versuche, bis sie dann genau richtig lag und sich festsaugen konnte, ohne dass sie Luft mit einzog. Im Liegen klappte es auch ganz gut, allerdings musste mein Mann mir oft helfen, damit sie genau richtig lag um zu stillen.

Angelina trank sehr häufig, jede Stunde, manchmal sogar jede halbe. Das war sehr anstrengend, da meine Brustwarzen die ersten 4 Wochen sehr empfindlich waren. Dadurch, dass es mit dem Anlegen nicht immer gleich klappte, bluteten sie auch einige Male. Das war dann sehr schmerzhaft.

Ich kann sehr gut verstehen, dass einige Frauen den Mut verlieren zu stillen. Der Anfang kann schon schwierig sein.

Ich bin jedoch sehr froh, dass ich durchhielt. Nach 4 Wochen waren meine Brustwarzen Okay und das Stillen funktionierte sehr gut, d. h. Angelina und ich waren ein gutes Stillteam geworden und wussten wie wir es machen müssen!

 

Als Angelina 3 Monate alt war, wurde ihre Lippenspalte operiert. Als ich sie nach der Operation sah, brach ich in Tränen aus! Sie sah nicht mehr aus, wie meine Angelina. Sie sah so verändert aus! Ich kam mir richtig undankbar vor, aber ich fühlte in dem Moment einfach so.

Nach der Operation sollte sie für 5 Tage eine Magensonde bekommen. Ich pumpte Muttermilch ab. Doch nur wenige Stunden nach der OP würgte sie sich die Magensonde heraus. Ich versuchte sie zu stillen – und es klappte! Es war so ein unglaubliches Gefühl! Ganz anders als je zuvor.

 

Meine Tochter ist eine Stillmaus geblieben. Als ich mit unserem 2. Kind schwanger wurde und mir die Muttermilch ausblieb, war sie 18 Monate alt. Doch als unser Sohn Nicki dann geboren wurde und mir die Milch einschoss, war sie so glücklich und stillte fast mehr als ihr Baby-Bruder.

Als unser 3. Kind geboren wurde war es das Gleiche: Plötzlich war ich Tridem-Still-Mama.

 

Mittlerweile ist meine Tochter fast 8 Jahre alt. Sie würde immer noch sehr gerne Stillen – jedenfalls ab und zu mal. Ich bin jedoch mit unserem 4. Kind schwanger und habe derzeit keine Milch. Mal sehen wie es nach der Geburt wird. Ich bin sicher, dass sie dann noch das eine oder andere Mal stillen wird.

 

LKG-Bücher